Die Rolle der Arbeitsmigration in der Schweizer Wirtschaft
von Fiona Rast

In den letzten 20 Jahren ist die Bevölkerung der Schweiz um 1,6 Millionen Menschen gewachsen. Dies ist vor allem auf die Zuwanderung zurückzuführen, denn pro Jahr sind durchschnittlich rund 70'000 Personen in die Schweiz eingewandert. Dies zeigt sich auch im kontinuierlichen Wachstum aller Ostschweizer Kantone. Dabei weist der Kanton Thurgau im Vergleich zu den anderen Ostschweizer Kantonen das stärkste Wachstum auf und liegt über dem Schweizer Durchschnitt. Gleichzeitig steigt der Arbeitskräftebedarf an, da 2022 erstmals mehr Menschen in den Ruhestand getreten sind als junge Erwerbstätige in den Arbeitsmarkt. Das verschärft den Arbeitskräftebedarf zusätzlich, der ohnehin rund fünfmal stärker gewachsen ist als die Bevölkerung.
Demografische Herausforderungen für die Schweiz
Im Gegensatz zu anderen Ländern kann die Schweiz den Bedarf nach Erwerbstätigen nicht allein durch eine Erhöhung der Erwerbsquote decken, da diese bereits 2005 bei 79% lag. Dennoch konnte die Erwerbsquote in den letzten Jahren noch gesteigert werden (2023: 84%), vor allem durch die tiefe Arbeitslosigkeit, der verstärkten Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und den ausländischen Arbeitskräften. In Zukunft werden jedoch in den nächsten zehn Jahren rund 460'000 Vollzeitarbeitskräfte fehlen, allein in der Ostschweiz bis 2035 rund 60'000 Erwerbstätige (Abbildung 1). Mögliche Lösungsansätze zur Behebung des Arbeitskräftemangels sind die verstärkte Nutzung inländischer Arbeitskräfte, die Steigerung der Produktivität sowie die Zuwanderung von Personen im erwerbsfähigen Alter.
Erwerbstätigkeit als Hauptmotiv für die Einwanderung
Zukünftig könnte die Arbeitsmigration weiter zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs beitragen. Bereits heute ist das Hauptmotiv für die Zuwanderung in die Schweiz die Erwerbstätigkeit. Im Jahr 2023 kamen 71% der Zugewanderten aus EU/EFTA-Staaten, um eine Arbeitsstelle zu besetzen. Weitere 18% zogen aus familiären Gründen und 7% zu Ausbildungszwecken in die Schweiz. Die Personenfreizügigkeit, welche im Jahr 2002 eingeführt wurde, regelt unbürokratisch die Arbeitsmigration aus dem EU/EFTA-Raum. Dabei ermöglicht die Personenfreizügigkeit Personen der EU/EFTA-Staaten, die über einen Arbeitsvertrag oder ausreichende finanzielle Mittel verfügen, in die Schweiz zu kommen, um zu arbeiten. Seither sind durchschnittlich 91'000 Personen pro Jahr aus diesen Ländern in die Schweiz eingewandert. Bei der Zuwanderung aus Drittstaaten ist der Familiennachzug der häufigste Grund, gefolgt von der Aus- und Weiterbildung und an vierter Stelle der Erwerbstätigkeit. Die Zuwanderung aus Drittstaaten ist durch ein Kontingentsystem stark reglementiert und auf hochqualifizierte Arbeitskräfte beschränkt. Die unfreiwillige Flucht- und Asylmigration, bei der Menschen ihre Heimat aufgrund von Krieg, Gewalt oder Verfolgung verlassen, basiert auf nationalen und internationalen Rechtsgrundlagen wie der Schweizerischen Bundesverfassung und der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen.
Arbeitsmigration in der Ostschweiz
In einer Mitgliederumfrage der Industrie- und Handelskammern St.Gallen-Appenzell und Thurgau stimmte die Hälfte der befragten Unternehmen der Aussage zu, dass ausländische Arbeitskräfte zum Arbeits- und Fachkräftemangel und generell zum Wohlstand der Schweiz beitragen. Ausländische Arbeitskräfte sind in der Ostschweiz vor allem in der Produktion, Baugewerbe, Montage und in der Logistik tätig. In der Industrie arbeiten sie überdurchschnittlich häufig zu unattraktiven Arbeitszeiten, wie 40 % der Industrieunternehmen bestätigen. Im Allgemeinen übernehmen ausländische Arbeitskräfte gemäss der Hälfte der befragten Unternehmen repetitive Tätigkeiten. Die Zuwanderung erfolgt häufig in Berufen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind oder nicht durch einheimische Arbeitskräfte abgedeckt werden können.
Umfrage zur Arbeitsmigration in Ostschweizer Unternehmen
mehr erfahrenEU/EFTA-Staaten im Fokus
Die Zugewanderten sind auch zunehmend hoch qualifiziert und verfügen über einen tertiären Bildungsabschluss, was sich positiv auf die Produktivität der Schweizer Wirtschaft auswirkt. So sind heute 40% der Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz ausländische Arbeitskräfte. Die Bedeutung ausländischer Arbeitskräfte wird für die befragten Ostschweizer Unternehmen in den kommenden Jahren tendenziell zunehmen, rund ein Drittel der Unternehmen rechnet in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit einem steigenden Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Dabei schätzt die Mehrheit der befragten Unternehmen die Bedeutung ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere aus den EU/EFTA-Staaten, für ihren zukünftigen Erfolg als sehr wichtig bis wichtig ein und nur ein geringer Anteil als unbedeutend. (Abbildung 2). In grenznahen Regionen wie der Ostschweiz spielen auch die rund 16'500 beschäftigten Grenzgänger eine wichtige Rolle und tragen zum Erfolg der Unternehmen bei.

Die Bedeutung ausländischer Arbeitskräfte für den Unternehmenserfolg von Ostschweizer Unternehmen nach Herkunftsregion. (Quelle: Umfrage IHK 2024)
Bisherige Zuwanderungspolitik wird befürwortet
Die aktuelle Zuwanderungspolitik mit der Personenfreizügigkeit mit den EU/EFTA-Staaten und den Kontingenten gegenüber Drittstaaten wird von den befragten Ostschweizer Unternehmen als einziges Modell zur Steuerung der Arbeitsmigration angesehen. Die Hälfte der Ostschweizer Unternehmen sieht keinen Anpassungsbedarf bei der Regelung der Zuwanderung. Ein erhöhter administrativer Aufwand bei der Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften würde sich für die Hälfte der Unternehmen negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken. Als Alternative sehen die befragten Unternehmen das Punktesystem, bei dem die zugewanderten Personen nach Kriterien wie Ausbildung und Berufserfahrung ausgewählt werden. Andere Modelle wie Kontingente oder Zuwanderungsgebühren werden von der Mehrheit der Unternehmen als weniger wirksam eingeschätzt.