China-Experte Jörg Wuttke im Gespräch mit IHK-Mitgliedern
Pascale Ineichen
Der Deutsche Jörg Wuttke kam ursprünglich als Generalbevollmächtigter für BASF nach China, wo er über 30 Jahre lang lebte. 20 Jahre davon amtete er als Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. Nun hat er China Richtung USA verlassen. In einem exklusiven Gespräch mit CEOs international tätiger Thurgauer Unternehmen teilt er sein umfangreiches Wissen zur wirtschaftlichen und politischen Situation im Reich der Mitte.
Chronische Überkapazitäten in der Produktion
Für international tätige Unternehmen ist die aktuelle Situation in China sehr herausfordernd. Das kräftige Wachstum seit Chinas wirtschaftlicher Öffnung in den 80er Jahren ist deutlich abgeflacht. Die ausländischen Direktinvestitionen in China sind heute auf dem tiefsten Stand seit 30 Jahren. Aufgrund seiner staatlichen Wirtschaftsplanung leidet das Land wie Wuttke ausführt an chronischen Überkapazitäten. 30 % der weltweiten Produktion stammen aus China, aber nur 14 % des globalen Konsums findet in China statt. Die Überkapazitäten abzubauen ist eine Herausforderung: International stehen die Zeichen aufgrund der Überschwemmung der Märkte mit chinesischen Gütern auf Handelskrieg – insbesondere mit den USA und Europa.
Positionspapier gibt Empfehlungen
Eben ist das aktuelle Positionspapier erschienen, welches die europäische Handelskammer jährlich im September publiziert. Es dokumentiert die Herausforderungen von in China tätigen europäischen Firmen und präsentiert über 1000 Verbesserungsvorschläge zuhanden der chinesischen Regierung. Das Papier 2024/2025 hält fest, dass sich das Geschäftsvertrauen von in China ansässigen Firmen auf einem Allzeit-Tief befinde. Die Regierung müsse angekündigte Reformen nun auch tatsächlich umsetzen, um das Vertrauen wieder herzustellen. Zahlreiche internationale Firmen würden ihre ursprünglich für China vorgesehenen Investitionen in andere Märkte verschieben, um in den Versorgungsketten resilienter zu bleiben, von tieferen Arbeitskosten zu profitieren und sich gegenüber geopolitischen Schocks zu schützen.
Wirtschaftliche Herausforderungen im Inland
Auch chinesische Firmen sind im Heimmarkt gefordert: Aufgrund der staatlichen Intervention schreiben sie kaum Gewinne, was Entwicklung und Investition hemmt. Es kommt zunehmend zu Entlassungen. Die anhaltende Immobilienkrise wirkt sich ebenfalls negativ auf das Wachstum aus. Eine tickende Zeitbombe ist zudem die demografische Struktur im Land: Aufgrund der jahrelangen Ein-Kind-Politik schrumpft die chinesische Bevölkerung gemäss Schätzungen der UNO in den kommenden 70 Jahren um die Hälfte.
Geopolitische Verschiebungen beeinflussen unternehmerische Entscheide
Im Zuge der stark ideologisch geprägten Führung von Xi entkoppelt sich China zunehmend von den USA und Europa und baut gleichzeitig seine Führungsrolle im globalen Süden aus. Mit Russland verbindet China der Argwohn gegenüber den USA, und Russland als Erdöl- und Gaslieferant ist abhängig von China. Der Ausgang der aktuell stattfindenden geopolitischen Machtverschiebungen ist gegenwärtig noch offen – zweifelsohne beeinflusst die Politik aber in zunehmendem Masse unternehmerische Entscheidungen.
Jörg Wuttke
Jörg Wuttke war seit 1997 Geschäftsführer und Generalbevollmächtigter der BASF in China. Von 2007 bis 2010, 2014 bis 2017 und 2019 bis 2023 amtete er als Präsident der Europäischen Handelskammer in Beijing. Nach 30 Jahren verliess Wuttke China Richtung USA, wo er seit einem Monat als Partner Dentons Global Advisors-Albright Stonebridge Group. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung als Führungskraft auf dem chinesischen Markt und im europäisch-chinesischen Handels- und Investitionskorridor.
Schweizer Freihandelsabkommen mit China
Seit zehn Jahren verfügt die Schweiz als einziges europäisches Land neben Island über ein Freihandelsabkommen mit China. Das Reich der Mitte ist der drittgrösste Handelspartner der Schweiz, hinter der Europäischen Union und den USA. Das Abkommen enthält Bestimmungen zum Waren- und Dienstleistungsverkehr, zu nicht-tarifären Handelshemmnissen, zum Schutz des geistigen Eigentums sowie zur nachhaltigen Entwicklung. Der Handel mit China hat sich denn auch erfreulich entwickelt, und die Schweiz verfügt gegenüber China über eine positive Handelsbilanz: 2023 exportierten Schweizer Unternehmen gemäss dem Seco Waren im Wert von 40.6 Milliarden Franken nach China, die Importe beliefen sich auf ein Volumen von 18.4. Milliarden Franken.
Die Schweiz und China wollen das Freihandelsabkommen nach 10 Jahren erweitern – vor allem im Bereich der chemischen Industrie und der Maschinenindustrie. Im Juli haben die beiden Länder diesbezüglich eine Absichtserklärung unterschrieben und wollen noch im Herbst entsprechende Verhandlungen aufnehmen. Innenpolitisch stösst dies in der Schweiz allerdings von verschiedener Seite auf Kritik, solange die Rolle Chinas im geopolitischen Machtgefüge unklar und eine Menschenrechtsklausel nicht Teil des Vertrags ist.
Über die Stiftung Stars
stars wurde 2008 gegründet mit dem Zweck, einen Beitrag zur Entwicklung der Top-Führungskräfte von morgen zu leisten. Im Rahmen von drei jährlichen Konferenzen in der Schweiz, China und in Singapur bringt stars internationale Führungskräfte zusammen, um gemeinsam mit renommierten Speakern die brennenden Herausforderungen der nahen Zukunft zu erörtern. Die Teilnehmenden stammen hauptsächlich aus der Wirtschaft, aber auch aus der Wissenschaft, Politik und von NGOs.
Mehr Information: