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Arbeitgeber Staat: Stellen und Löhne wachsen überdurchschnittlich

Das Stellenwachstum der öffentlichen Hand übertrifft jenes der Privatwirtschaft deutlich. Zwischen 2011 und 2019 wuchs der Personalbestand im öffentlichen Sektor hierzulande um 13 Prozent, während er im privaten Sektor um 8 Prozent anstieg. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich in der Ostschweiz. Die Attraktivität des öffentlichen Sektors – insbesondere der Verwaltung – ist unter anderem auf eine staatliche «Lohnprämie» zurückzuführen. Damit bindet der Staat Personal, das den Unternehmen für wertschöpfende Tätigkeiten fehlt. Doch Staat ist nicht gleich Staat: Es braucht es eine öffentliche Debatte darüber, welche Aufgaben der Staat im Kern wahrnehmen soll.
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Fachkräftemangel – das «Jammerwort» des Jahres 2023. So äusserte sich unlängst der Ökonom und ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm. Fakt ist aber: Der Fach- und Arbeitskräftemangel stellt für die Ostschweizer Unternehmen mittelfristig die grösste Herausforderung dar. So vermelden 69 Prozent der Unternehmen in der Kernregion Ostschweiz, die Rekrutierung von Arbeitskräften gestalte sich als «schwierig» bis «sehr schwierig» (IHK- & AGV-Lohnumfrage 2023).

Staat mit überdurchschnittlichem Stellenwachstum

Umso wichtiger ist es, dass gut ausgebildete Fachkräfte dort ihre Arbeitsleistung erbringen, wo sie am dringendsten benötigt werden oder eine hohe Wertschöpfung generieren können. Die Privatwirtschaft ist für den Grossteil der gesamtschweizerischen Wertschöpfung verantwortlich und ist pro Arbeitskraft produktiver als der öffentliche Sektor (Schlegel, o. D.).

Doch die Privatwirtschaft steht im Arbeitsmarkt in direktem Wettbewerb mit dem Staat. Mit rund 620 000 Beschäftigten ist Letzterer ein gewichtiger Akteur im Arbeitsmarkt und kann das Arbeitsangebot für den privaten Sektor negativ beeinflussen (Rühli et al., 2023, S. 30). Dies trifft umso mehr zu, als der öffentliche Sektor in den vergangenen Jahren ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum verzeichnete. So wuchs die staatliche Beschäftigung, gemessen in Vollzeitäquivalenten (VZÄ), von 2011 bis 2019 um 13 Prozent. Im privaten Sektor stieg sie im selben Zeitraum um 8 Prozent (Rühli et al., 2023, S. 32).

Diese Zahlen berücksichtigen den staatlichen Sektor im engeren und weiteren Sinne sowie staatsnahe Betriebe. Zum staatlichen Sektor im engeren Sinne zählen beispielsweise Beschäftigte in der Verwaltung oder dem Bildungssektor, die ihren Lohn direkt von staatlichen Ebenen beziehen. Der staatliche Sektor im weiteren Sinne umfasst öffentliche Unternehmen und Institute des öffentlichen Rechts, wie beispielsweise die SBB. Zu den staatsnahen Betrieben gehört eine Vielzahl an Unternehmen, die rechtlich gesehen als privat gelten, jedoch unter (teil)staatlicher Kontrolle oder Finanzierung stehen, so beispielsweise die BKW, Swissgrid, Swisscom oder die Post.

Beschäftigungswachstum insbesondere auf kommunaler Ebene

Von 2011 bis 2019 verzeichneten die Gemeinden das stärkste Stellenwachstum in der öffentlichen Verwaltung (13,6 Prozent), gefolgt von den Kantonen (8,9 Prozent). Mit 4,1 Prozent wies die Bundesverwaltung das geringste Beschäftigungswachstum auf (Portmann et al., 2023a). Der mit Abstand grösste Teil der Staatsbeschäftigten ist dabei auf Kantons- und Gemeindeebene angestellt. Der Bund beschäftigt nur einen Bruchteil der Arbeitskräfte des gesamten Staatswesens.

Die übrigen Beschäftigten, die direkt dem Staat zuzuordnen sind, arbeiten hauptsächlich in der Verwaltung von Körperschaften, insbesondere von Bildungsinstitutionen wie Hochschulen. Von 2011 bis 2019 wuchs das Beschäftigungsniveau in diesem «übrigen» Staatssektor um beachtliche 21,3 Prozent (Rühli et al., 2023, S. 36). 

Ostschweiz keine Ausnahme

Auch für die Kernregion Ostschweiz zeigt sich ein im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum in staatlichen Sektoren (Abb. 1). Im Zeitraum 2011 bis 2021 stieg der Personalbestand besonders stark in den Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht sowie bei der öffentlichen Verwaltung. Letztere verzeichnete überdies ein deutlich höheres Stellenwachstum im Vergleich zur Gesamtschweiz.

Auch in den Branchen Verkehr und Lagerei sowie Energie und Wasser weist die Ostschweiz ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum auf. Dies ist insofern beachtlich, als in beiden Branchen auch zahlreiche öffentliche sowie staatsnahe Betriebe vertreten sind. Eine eindeutige Trennung zwischen privaten und staatsnahen Unternehmen ist dabei nicht immer möglich. So fallen in den Sektor Verkehr und Lagerei grosse Unternehmen wie die SBB und die Post.

In der Ostschweiz ist jede dritte Arbeitskraft im Sekundärsektor beschäftigt, was deutlich über dem Schweizer Durchschnitt liegt. In der Industrie ist das Beschäftigungswachstum rückläufig, im Baugewerbe stieg die Beschäftigung hingegen. In beiden Branchen, welche den Grossteil des Sekundärsektors ausmachen, vermelden die Unternehmen einen ausgeprägten Arbeitskräftemangel: Im Baugewerbe bekunden acht von zehn Unternehmen Schwierigkeiten bei der Personalsuche, in der Industrie sind es zwei von drei (IHK- & AGV-Lohnumfrage 2023).

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Abb. 1: Staatliche und staatsnahe Branchen mit überdurchschnittlichem Stellenwachstum

Im kantonalen Vergleich fällt auf, dass in der Kernregion Ostschweiz die öffentliche Verwaltung effizienter besetzt ist als im Schweizer Durchschnitt. So beschäftigt die öffentliche Verwaltung in den vier Kantonen der Kernregion Ostschweiz weniger Vollzeitäquivalente pro Einwohner/-in als im schweizweiten Durchschnitt (Abb. 2). Diese Zahl nahm im Zeitraum 2011 bis 2019 in der Kernregion Ostschweiz – mit Ausnahme des Thurgaus – allerdings zu. Mit über 2,5 Prozent wuchs die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung überproportional zur Bevölkerung. Das Wachstum der VZÄ je Einwohner/-in liegt zudem über dem Schweizer Durchschnitt (Abb. 2).

Betrachtet man die Personalausgaben im Verhältnis zur Bevölkerung, zeigen sich die Ostschweizer Kantone wiederum vergleichsweise sparsam. Mit rund 3’500 bis 4’300 Franken liegen sie schweizweit im unteren Drittel. Die Personalausgaben pro Einwohnerin und Einwohner wuchsen im Zeitraum von 2008 bis 2019 je nach Kanton der Kernregion Ostschweiz aber zwischen 5 und 15 Prozent (Abb. 3). 

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Abb. 2: Vergleichsweise effiziente Besetzung in kantonalen Ostschweizer Verwaltungen

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Abb. 3: Geringe Pro-Kopf-Verwaltungspersonalausgaben in der Ostschweiz

Internationaler Vergleich

Im europäischen Vergleich gibt die Schweiz im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wenig für ihre Bediensteten aus: Mit 7,6 Prozent sind die staatlichen Personalausgaben die zweitniedrigsten in Europa und deutlich unter dem OECD-Schnitt (Abb. 4). Jedoch machen die Personalausgaben in der Schweiz rund einen Fünftel der gesamten Staatsausgaben aus, was knapp über dem OECD-Schnitt liegt (Abb. 5). Werden die Verwaltungspersonalkosten pro Einwohnerin und Einwohner verglichen, so liegt die Schweiz im europäischen Mittelfeld.

Kaufkraftbereinigt wendet jede Person in der Schweiz durchschnittlich 6’082 CHF pro Jahr für Personalkosten des Staates auf. Von 1995 bis 2019 sind die Verwaltungslohnkosten pro Person um satte 88 Prozent gestiegen – ein Wert, der jenen der Nachbarländer Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich übersteigt (Portmann et al., 2023a).

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Abb. 4: Staatliche Personalausgaben im Verhältnis zum BIP Abb. 5: Staatliche Personalausgaben im Verhältnis zu gesamten Staatsausgaben

Lohnprämie beim Staat

Das überproportionale staatliche Stellenwachstum wird begünstigt durch die Lohndifferenz zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Ein Vergleich der Medianlöhne offenbart eine Lohnprämie für Beschäftigte im öffentlichen Sektor – und zwar auf allen Ebenen des föderalen Systems.

Bei vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation sowie unter Berücksichtigung soziodemografischer Merkmale verdienen Angestellte im Öffentlichen Dienst auf Bundesebene durchschnittlich 11,6 Prozent mehr als im privaten Sektor. Auf Kantonsebene sind es noch 4,3 Prozent, auf Gemeindeebene 3,4 Prozent (Portmann et al., 2023b).

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Abb. 6: Monatlicher Bruttolohn nach Branchen in der Ostschweiz

Die Lohnprämie in der öffentlichen Verwaltung zeigt sich insbesondere im tiefen und mittleren Einkommensbereich. Die Höhe des Lohns bei Staatsangestellten richtet sich nach der entsprechenden Lohnklasse und ist in Lohntabellen geregelt. Durch ein solches Stufensystem ist die Entlohnung nicht mehr primär an die Leistung gekoppelt.

Personen höheren Alters sowie mit längerer Anstellungsdauer werden im Öffentlichen Dienst systematisch besser entlohnt als in der Privatwirtschaft (Portmann et al., 2023b). Einzig bei den Spitzenlöhnen für Führungskräfte zahlt die Privatwirtschaft mehr. 2022 lag der mittlere Ostschweizer Bruttolohn bei CHF 6’344 pro Monat. Alle Sektoren mit höheren Löhnen sind entweder staatliche oder staatlich dominierte Sektoren – mit Ausnahme der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (Abb. 6).

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Der Staat gilt auch über den Lohn hinaus als attraktiver Arbeitgeber. Staatsangestellte geniessen teilweise tiefere Wochenarbeitszeiten, grosszügige Pensionskassenregelungen sowie besseren Kündigungsschutz (Minsch, 2019). Ein Job in der öffentlichen Verwaltung ist auch deshalb sicherer als in der Privatwirtschaft, weil er weniger stark von konjunkturellen Schwankungen betroffen ist (Arent & Nagel, 2010). Dieser Auftritt des Staates im Arbeitsmarkt bewirkt einen gesamtwirtschaftlichen Aufwärtslohndruck. Staat und Unternehmen gehen damit ganz unterschiedlich um. Die öffentliche Hand hat gesetzliche Aufträge zu erfüllen. Wird eine Leistung nicht erbracht, wird gegebenenfalls das Gesetz verletzt. Personalmangel darf kein Grund dafür sein. Die finanzielle Schmerzgrenze wird gewissermassen übersteuert.

Private Unternehmen sind demgegenüber dem (internationalen) Wettbewerb ausgesetzt. Die Konkurrenz limitiert die Löhne in der Privatwirtschaft stärker als die passiven privaten Steuerzahler die Löhne beim Staat (Bütler, 2023). Im produzierenden Gewerbe müssen die ohnehin hohen Lohnkosten tagtäglich mit Innovation, Qualität und Verlässlichkeit kompensiert werden. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen haben den systematisch höheren Staatslöhnen letztlich oft wenig entgegenzusetzen. Der Arbeitskräftemangel verschärft sich in diesen Betrieben weiter. Zu betonen ist dabei, dass diese Entwicklung nicht bloss das Resultat von Marktmechanismen, sondern viel eher einer Marktverzerrung ist. Der Job-Magnet Bürokratie funktioniert, weil die Verwaltung selbst Stellen schaffen kann auf Kosten der Leute an der Front, die dies nicht können (Bütler, 2023).

Zu einem Stellenabbau kommt es in der öffentlichen Verwaltung demgegenüber selten. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft wirken auch hier Konjunktur und Konkurrenz kaum als Korrektiv. Die Verwaltung profitiert zudem von einem Informationsvorsprung.

Der Staat gilt auch über den Lohn hinaus als attraktiver Arbeitgeber. Staatsangestellte geniessen teilweise tiefere Wochenarbeitszeiten, grosszügige Pensionskassenregelungen sowie besseren Kündigungsschutz (Minsch, 2019). Ein Job in der öffentlichen Verwaltung ist auch deshalb sicherer als in der Privatwirtschaft, weil er weniger stark von konjunkturellen Schwankungen betroffen ist (Arent & Nagel, 2010). Dieser Auftritt des Staates im Arbeitsmarkt bewirkt einen gesamtwirtschaftlichen Aufwärtslohndruck. Staat und Unternehmen gehen damit ganz unterschiedlich um. Die öffentliche Hand hat gesetzliche Aufträge zu erfüllen. Wird eine Leistung nicht erbracht, wird gegebenenfalls das Gesetz verletzt. Personalmangel darf kein Grund dafür sein. Die finanzielle Schmerzgrenze wird gewissermassen übersteuert.

Private Unternehmen sind demgegenüber dem (internationalen) Wettbewerb ausgesetzt. Die Konkurrenz limitiert die Löhne in der Privatwirtschaft stärker als die passiven privaten Steuerzahler die Löhne beim Staat (Bütler, 2023). Im produzierenden Gewerbe müssen die ohnehin hohen Lohnkosten tagtäglich mit Innovation, Qualität und Verlässlichkeit kompensiert werden. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen haben den systematisch höheren Staatslöhnen letztlich oft wenig entgegenzusetzen. Der Arbeitskräftemangel verschärft sich in diesen Betrieben weiter. Zu betonen ist dabei, dass diese Entwicklung nicht bloss das Resultat von Marktmechanismen, sondern viel eher einer Marktverzerrung ist. Der Job-Magnet Bürokratie funktioniert, weil die Verwaltung selbst Stellen schaffen kann auf Kosten der Leute an der Front, die dies nicht können (Bütler, 2023).

Zu einem Stellenabbau kommt es in der öffentlichen Verwaltung demgegenüber selten. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft wirken auch hier Konjunktur und Konkurrenz kaum als Korrektiv. Die Verwaltung profitiert zudem von einem Informationsvorsprung gegenüber Politik und Bevölkerung. Diese Informationsasymmetrie erschwert die Kontrolle darüber, ob die öffentliche Verwaltung ihren Personalbestand effizient gestaltet (Portmann et al., 2023a; Rühli et al., 2023). Doch Staat ist nicht gleich Staat. So würde eine Pauschalisierung beispielsweise die Lohn- und Arbeitszeitrealitäten in Pflegeberufen verkennen. Umso wichtiger ist eine öffentliche Debatte über die Art des staatlichen Stellenwachstums.

Fazit

Das staatliche Stellenwachstum übertrifft jenes der Privatwirtschaft deutlich. Der Staat entzieht damit der hiesigen Wirtschaft dringend benötigte Arbeitskräfte. Zwar baut der Staat nicht des Stellenausbaus wegen Stellen aus. Er benötigt immer mehr Personal, um die stetig wachsenden und komplexer werdenden Aufgaben zu erfüllen. Gleichwohl sollte der Staat seinen «Stellenappetit» zügeln und von Marktverzerrungen durch überdurchschnittlich hohe Löhne absehen. Denn: Die Lücke am Arbeitsmarkt wird sich weiter öffnen. Die Demografie spielt gegen uns. Der Mensch wird verstärkt zum Engpassfaktor.

Dabei drängen sich diverse Fragen auf: Welche Aufgaben soll der Staat im Kern wahrnehmen? Wo schaffen Staatsangestellte einen unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen? In welchen Bereichen braucht es finanzielle und personelle Entlastung – und wo lässt sich umgekehrt dieselbe Arbeit in weniger Zeit erbringen? Oder zugespitzt formuliert: Wollen wir in unserer Region gestalten oder verwalten?